Wie erstelle ich ein Abenteuer?
Dieser Artikel erklärt, inwiefern sich ein Rollenspielabenteuer in seiner Erzählweise von klassischen Geschichten unterscheidet, worauf beim Schreiben eines eigenen Pen-and-Paper-Abenteuers geachtet werden sollte, welche Schwierigkeiten einem dabei begegnen können und wie man mit diesen umgeht. Ebenso sind weiterführende Links und hilfreiche Tipps aufgelistet.
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Vorwort
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Pen-and-Paper-Rollenspielen und Abenteuern, wie wir sie aus Büchern oder Filmen kennen: Linearität. Nehmen wir beispielsweise den ersten Star Wars-Film. Luke Skywalker repariert den Droiden und findet Obi-Wan Kenobi. Gemeinsam heuern sie Han Solo und Chewbacca an, retten Leia und entschlüsseln die Pläne des Todessterns. Obi-Wan kämpft gegen Darth Vader und verliert, Luke zerstört den Todesstern mithilfe der Macht, Ende. So funktioniert der Film, egal, wie oft wir ihn gucken. Er fängt immer gleich an, nimmt immer denselben Weg, die Charaktere fällen immer dieselben Entscheidungen, und das Ende bleibt auch immer gleich. Aber was, wenn Luke es nicht geschafft hätte, den Droiden zu reparieren? Was, wenn es ihnen nicht gelungen wäre, Han Solo anzuheuern? Was, wenn Obi-Wan gegen Darth Vader einen kritischen Schadenswurf gewürfelt hätte? Wir wissen es nicht, denn es ist ein Film.
In einem Pen-and-Paper-Abenteuer können wir diese Wege ausloten und verschiedene Möglichkeiten ergründen. Diese Abenteuer leben davon, dass alle Beteiligten am Tisch Entscheidungen treffen, die den Verlauf der Geschichte maßgeblich beeinflussen. Die Geschichte ist noch nicht geschrieben, sie ensteht erst am Tisch. Und das bringt einige Probleme mit sich. Wie zur Hölle kannst du als Spielleiter ein Abenteuer vorbereiten, wenn man noch nicht weiß, wie die Geschichte verlaufen wird oder welche Entscheidungen die Spieler treffen werden?
Railroading
Die Antwort auf diese Frage ist einfach: Egal, was die Charaktere tun, am Schluss sind sie auf Han Solos Raumschiff. Klingt logisch, oder? Aber warum Railroading? Railroad ist englisch und bedeutet "Eisenbahnschiene". Im Rollenspiel befördert der Spielleiter die Spieler von Punkt A zu Punkt B und sorgt dafür, dass das von ihm angedachte Spielziel erreicht wird, unabhängig von den Entscheidungen der Spieler. Ähnlich wie bei einer Bahnfahrt. Man kann z.B. die Aussicht genießen, sich unterhalten oder umherlaufen, aber man kann nicht darüber entscheiden, welchen Weg der Zug nimmt oder welche Stationen er in welcher Reihenfolge anfahren wird. Das kann seine Berechtigung haben. Aber Vorsicht! Wenn die Spieler das Gefühl bekommen, dass ihre Entscheidungen bedeutungslos sind, wird ihr Interesse an dem geschriebenen Abenteuer schlagartig verschwinden. Außerdem kann es die Glaubwürdigkeit der Spielwelt gefährden, wenn der Spielleiter die Logik aus dem Fenster wirft, damit die Spieler die von ihm erwarteten Ziele erreichen. Aus diesem Grund ist der Begriff Railroading in der Rollenspielerszene auch ein sehr heißes Eisen und gibt immer wieder Anlass zur Diskussion.
Natürlich ist das ein Problem des Spielleiters, aber es ist deine Aufgabe als Verfasser des Abenteuers, ihn durch dein Abenteuer mit allem zu versorgen, was er für einen gelungenen Spielabend benötigt, sodass sich seine Spielerrunde erst gar nicht in eine Sackgasse manövrieren kann. Dies gewinnt umso mehr an Bedeutung, wenn du selbst der Spielleiter bist, der ein Abenteuer vorbereiten möchte.
Die offene Spielwelt
Wenn man einen bestimmten Plot verfolgt, ist es meist unvermeidlich, nicht wenigstens ein wenig Railroading zu betreiben. Aber man sollte darauf achten, dies nur äußerst sparsam einzusetzen, um den Spielern nicht den eigenen Willen aufzuzwingen.
Für den Spielleiter am Tisch lautet daher das Stichwort: Improvisation. Wenn die Spieler Han Solo in der Kneipe übersehen oder die Überzeugen-Probe versiebt haben, kann der Spielleiter bspw. Han Solo in eine gefährliche Situation bringen, aus der ihn nur die Spieler befreien können. Daraufhin steht er in ihrer Schuld und bietet ihnen seine Dienste an. Oder es besteht die Option, sich verbotenerweise auf Han Solos Raumschiff zu schleichen.
Halte alle Optionen offen, denn wie so oft im Leben ist auch beim Pen and Paper der Weg das Ziel! Es gibt nicht den einen, richtigen Weg. Du wirst schnell merken, dass die Spieler sehr gut darin sind, sich Lösungen auszudenken, an die du nicht einmal im Traum gedacht hättest. Das bedeutet aber nicht, dass jede Idee eine gute Idee ist. Scheitern ist immer eine Möglichkeit von vielen. Vielleicht werden deine Spieler nie den Planeten Tatooine verlassen und den Todesstern zerstören, aber auf dem Sandplaneten warten bestimmt noch andere Abenteuer auf sie. Oder sie kommen zu spät, um Prinzessin Leia zu retten, was wiederum interessante Möglichkeiten für den Fort- und Ausgang der Geschichte eröffnet.
Für den Verfasser des Abenteuers bedeutet das: Versuche nicht, dich zu sehr in bestimmte Ereignisse zu verbeißen. Dies führt nur zu Frust – sowohl bei dir, als auch bei deinen Spielern. Wenn du die Spielwelt offen hältst, bietest du nicht nur den Spielern, sondern auch dir als Spielleiter ungeahnte Möglichkeiten, und die Abenteuer, die ihr gemeinsam erlebt, werden mit jeder getroffenen Entscheidung einzigartiger werden.
Wurde schon einmal erwähnt, wie wichtig Improvisation ist? Dein Abenteuer sollte dies beherzigen und Eckdaten schaffen, die die Welt füllen und genug Raum geben, damit die Spielercharaktere sich entfalten können.
Wie schreibe ich ein Abenteuer?
Im Film oder Buch erleben wir, wie Charaktere Entscheidungen fällen und die Welt, in der sie sich bewegen, verändern. In der Welt des Rollenspiels sind diese Entscheidungen noch nicht gefallen. Wenn wir also ein Abenteuer schreiben, geht es weniger darum, zu versuchen, die Entscheidungen der Charaktere vorherzusagen – was uns wieder auf das Railroading zurückführen würde –, sondern vielmehr darum, Situationen zu erschaffen, in denen die Charaktere diese Entscheidungen treffen können.
Es ist darüber hinaus empfehlenswert, dass du versuchst, dich kurzzuhalten. Überlege dir, welche Informationen wichtig sind, um dein Abenteuer spielbar zu machen, und welche nur schmückendes, aber optionales, Beiwerk sind. Ist es beispielsweise wichtig, dass das kleine Mädchen, das den Charakteren über den Weg läuft, einen Teddy im Arm hat? Wenn der Teddy für dein Abenteuer von Bedeutung ist, dann schreibe ihn auf. Ansonsten kannst du es getrost dem Spielleiter überlassen, die Beschreibung des kleinen Mädchens im Rollenspiel auszuschmücken.
Eine klare und übersichtliche Gliederung hilft nicht nur beim Lesen des Abenteuers, sondern auch beim Leiten: Sollten die Spieler sich mal vom vorgesehenen Weg entfernen, hat man dennoch den Überblick über den gewünschten Ablauf und kann Szenen neu ordnen, fallenlassen oder einbauen, damit das Abenteuer nicht entgleist.
Wo sind wir hier? – Das Setting
Zuerst einmal müssen wir natürlich wissen, in welcher Welt dein Abenteuer spielen soll, denn alles, was in deiner Geschichte geschieht, ist den Regeln dieser Welt unterworfen. In einer Welt, in der es keine Magie gibt, macht sich ein Charakter eher lächerlich, wenn er einen Zauberstab zückt.
Wenn du dir kein eigenes Setting ausdenken möchtest, dann findest du hier einige Settings, die du verwenden kannst. Oder du lässt dich von Büchern oder Filmen inspirieren. Andere Rollenspielsysteme präsentieren in den meisten Fällen ebenfalls eine ausgereifte und lebendige Welt, die du mit deinen Spielern erforschen kannst.
Warum sind wir hier? – Motivation
Am Anfang war das Problem. Und der Spielleiter sah, dass es gut war, und präsentierte es seinen Spielern, welche es lösen sollten. Aber die Spieler waren damit beschäftigt, ihre Geschwister zu ermorden und Äpfel zu essen.
Gib den Charakteren einen Grund, hier zu sein. Was kümmert es die Charaktere, ob dein Bösewicht das Stromnetz der Stadt zerstört oder ob die Tochter des Königs vom Drachen entführt wurde? Wenn die Spieler keine Motivation erhalten, dem Finale entgegenzujagen, dann neigen sie verstärkt dazu, andere, nicht vorgesehene Wege zu erforschen, oder sie verlieren gleich ganz die Lust am Spiel.
Die ganz klassische Motivation ist der Auftraggeber, der mit dem dicken Geldbeutel dazu lockt, sich ins Abenteuer zu stürzen. Das kann gut funktionieren, aber es ist empfehlenswert, nur im Notfall darauf zurückzugreifen. Genauso funktioniert auch ein McGuffin, wie beispielsweise der Koffer aus Pulp Fiction oder der Ring aus Herr der Ringe. Viel spannender und mitreißender wird es jedoch, wenn du es persönlich machst. Klau einem der Charaktere deiner Spieler einen ihm wichtigen Gegenstand oder zerstöre ihn. Bedrohe oder entferne (sprich: töte oder entführe) ihnen nahestehende Charaktere (bspw. Daisy in John Wick oder Mono in Shadow of the Colossus). Lass die Charaktere deiner Spieler an einer Krankheit leiden oder bringe sie in eine Notlage, aus der sie sich nur mit fremder Hilfe befreien können. Auch kann eine zufällige Begegnung ein guter Aufhänger sein, wie beispielsweise "In einer Seitengasse hört ihr Hilferufe!", "Ihr erscheint am verabredeten Treffpunkt, aber euer Kontakt ist nicht da" oder "Ihr seid an diesem gefährlichen Ort gestrandet und müsst fliehen!"
Warum sind die NPCs hier? – NPCs und Beziehungen
Was für die Spielercharaktere gilt, gilt auch für alle anderen Lebewesen in dieser Welt. Jeder Charakter hat einen Grund, sich so zu verhalten, wie er es tut. Der Dieb stiehlt vielleicht, weil er Geld für die teure Medizin seiner Schwester benötigt, der Assassine ist von Rachegedanken getrieben, die Krankenschwester möchte als Medizinerin in einer von Männern dominierten Zeit anerkannt werden. Wenn du dir überlegst, welche prägenden Ereignisse im Leben eines NPC stattgefunden haben und welche Ziele dieser NPC verfolgt, wirst du schnell bemerken, dass sich seine weiteren Charaktereigenschaften wie von selbst in das Bild einfügen – manchmal sogar ohne sie explizit erwähnen zu müssen. Und es verhilft nicht nur dem Charakter mit wenig Aufwand zu mehr Tiefe, es wird auch viel leichter sein, herauszufinden, wie der NPC in dem Abenteuer agiert und reagiert, womit du gelassener möglichen Ideen und Handlungen deiner Spieler entgegenblicken kannst.
Wenn du für das Abenteuer NPCs vorbereitest, hilft dir vielleicht folgende Liste:
- Erscheinen: Wie sieht der Charakter aus? Was fällt den Spielern an ihm auf? Führt er Gegenstände bei sich? Nicht immer ist es wichtig, zu wissen, wie der Charakter aussieht. Ob er nun blonde oder dunkle Haare hat, wird in den meisten Fällen vollkommen egal sein. Aber ein Hinkebein oder andere Besonderheiten könnten Hinweise zu seinem Hintergrund liefern.
- Motivation: Warum tut der NPC das, was er tut? Es kann entscheidend sein, zu erfahren, wie weit der NPC für die Erfüllung seiner Ziele zu gehen bereit ist. Nicht jeder Mensch würde für seine Ziele über sprichwörtliche Leichen gehen.
- Verhalten: Wie tritt der Charakter auf? Ist er arrogant, schüchtern, verschlagen? Wie reagiert er auf Provokationen oder wenn etwas nicht nach seinem Wunsch läuft? Erhebt er die Fäuste, oder wird er schöne Worte spinnen, um dennoch seine Ziele zu erreichen? Auch dies ist wichtig, um zu wissen, wie der NPC die ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen wird, wenn die Spielercharaktere seinen Weg kreuzen.
- Ressourcen: Wir wissen nun, wie der NPC sich verhält, aber wir wissen nicht, wozu er in der Lage ist. Hat der NPC viele Kontakte, die er in der Not aktivieren kann? Stehen Schläger auf seiner Lohnliste, oder ist er eigentlich nur ein armes Würstchen, das tatsächlich nichts bewegen kann? Hat er vielleicht sogar familiäre oder politische Beziehungen, die ihrerseits reagieren würden, stieße diesem NPC etwas zu?
- Beziehungen: Beziehungen sind so etwas wie Ressourcen. Aber sie sind auch noch viel mehr. In welcher Beziehung steht der NPC zu den Spielern, zu anderen NPCs sowie den Ereignissen innerhalb der Welt und des Abenteuers? Allein aus diesen Beziehungsgeflechten und den resultierenden Konflikten kann sich ein spannendes Abenteuer ergeben. Überlege einmal, wie viel Potenzial der Konflikt der Montagues und Capulets aus "Romeo und Julia" bietet. Eine Beziehungsmindmap kann – zumindest manchmal – das komplette Abenteuer stellen.
Es sei zu erwähnen, dass nicht jeder NPC ausführlich beschrieben werden muss. Er muss nicht einmal einen Charakterbogen oder Werte haben. Du darfst den NPC natürlich trotzdem mit allen dir nötig erscheinenden Details ausschmücken, versuche aber, dich auf die für das Abenteuer wichtigen Figuren zu konzentrieren. Vertraue darauf, dass die anderen im Bedarfsfall improvisiert werden können. Wenn du die wichtigen Details schnell zur Hand hast, kannst du um die Spielercharaktere herum eine kohärente und bedeutungsvolle Welt erschaffen, die glaubwürdig auf ihre Entscheidungen reagiert und sowohl spannend als auch unvorhersehbar bleibt.
Manche Spielleiter haben gerne eine Sammlung an generischen NPCs in der Hinterhand, für den Fall, dass sie auf die Schnelle einen Charakter improvisieren müssen. Auch Namenslisten oder Charaktergeneratoren sind beliebt. Im Internet gibt es reichlich Auswahl. Im Spielleiter-Guide sind einige Vorschläge, wenn dir die Auswahl zu groß ist.
Was geht hier vor? – Konflikte
Hierbei handelt es sich um einen kleinen Drahtseilakt. Auch ohne das Zutun der Spieler tut sich etwas in der Welt. Menschen verlieben sich, Drachen entführen Königskinder, oder Aliens legen irgendeine amerikanische Stadt in Schutt und Asche. Diese Ereignisse müssen nicht zwangsläufig von den Spielern in Gang gebracht werden oder den Anstoß für das Abenteuer liefern. Solche Konflikte und Ereignisse ergeben sich meistens aus den Beziehungen der Charaktere (SCs wie auch NPCs), der Abenteuermotivation oder dem Setting selbst, sodass man sich keine aufgesetzten Ereignisse ausdenken musst. Sollten die Spieler aus irgendeinem Grund in Tatenlosigkeit versinken oder sich in eine Sackgasse manövrieren, so kannst du mit diesen Ereignissen das Abenteuer voranbringen und den Spielern neue Handlungsanstöße liefern.
Gleichzeitig solltest du darum bemüht sein, mit diesen Ereignissen die Bedeutung der Spielercharaktere nicht zu überschatten und sie so zu reinen Zuschauern zu machen. Am Ende sind immernoch sie die Hauptdarsteller der Geschichte, die solche Ereignisse durch ihre Entscheidungen anstoßen und maßgeblich verändern. Aber in Maßen eingesetzt, können diese übergreifenden Konflikte dein Abenteuer unvorhersehbar machen, wodurch es wiederum an Spannung gewinnt.
Was machen wir hier? – Szenen vorbereiten
Wir sprachen davon, dass du nicht versuchen solltest, die Entscheidungen deiner Spieler vorherzusehen, stattdessen lieber Situationen schaffen sollst, in denen sie diese Entscheidungen treffen können. Aber was bedeutet das? Stell dir vor, du befindest dich in einem Kaufhaus. An den Kassen haben sich lange Schlangen gebildet. Als du dich anstellst, fallen dir deine Einkäufe zu Boden, und als du sie wieder aufsammeln möchtest, bemerkst du einen Zettel auf dem Boden, der wie ein Lottoschein aussieht. Du hebst ihn auf und ... Wie? Du stellst dich gar nicht an? Du hast nicht einmal was eingekauft? Und fremde Zettel auf dreckigen Kaufhausböden hebst du garantiert nicht auf?
Wie du siehst, ist der Erfolg dieses Abenteuers davon abhängig, dass die Spieler ein paar spezifische, aufeinanderfolgende Entscheidungen treffen. Natürlich kann man dem Spieler den Zettel sprichwörtlich in die Hand drücken, aber diese Option erschöpft sich recht bald aufgrund der daraus folgenden Lustlosigkeit der Spieler, sich Lösungsmöglichkeiten zu überlegen, wenn sowieso schon alles Wichtige entschieden ist. Wie könnte die Szene aber sonst aussehen? Beispielsweise so: Wir befinden uns in einem Kaufhaus, in dem sich die Kundschaft durch die überfüllten Gänge schiebt. Eine Diebesbande hat sich unter die Menge gemischt und nutzt die Gunst der Stunde. Am Informationsschalter diskutiert eine beleibte, ältere Dame mit der Angestellten, weil sie ihren Lottoschein verloren hat, der einen sensationellen Gewinn verspräche.
Diese Szenenbeschreibung lässt den Spielern Raum, ihre Charaktere das tun zu lassen, was sie eben zu tun belieben. Währendessen erhält der Spielleiter genug Inspiration, um Möglichkeiten zu kreieren, in denen die Spieler in Kontakt mit der beleibten Dame treten können.
Heruntergebrochen können Szenenbeschreibungen aus Orten, NPCs oder Ereignissen bestehen, die Hinweise in sich bergen und den Spielern neue Erkenntnise bescheren können. Bleibe bei deiner Szenenbeschreibung so objektiv und informativ wie möglich. Wenn du möchtest, kannst du sie in einem weiteren Absatz detaillierter beschreiben, solltest du der Meinung sein, dass dies der Stimmung zuträglich ist. Bedenke aber, dass du während des Spiels keine Zeit hast, dir dreiundzwölfzig Seiten durchzulesen.
Genauso wie bei den NPCs musst du nicht jeden Ort mit demselben Grad an Details beschreiben. Achte auf die Verhältnismäßigkeit, und arbeite Kernelemente stärker aus als unwichtige Nebenschauplätze. Es bleibt dir überlassen, wie detailreich du dabei sein willst. Mit ausreichend Zeit und Übung wirst du sicherlich einen für dich stimmigen Weg finden.
Wie geht es weiter? – Szenen verbinden
Nicht immer – sprich: unter Garantie nicht – kapieren die Spieler sofort, dass ein Hinweis ein Hinweis ist und sie diesem folgen sollen, um die Geschichte voranzubringen und zur nächsten Szene zu gelangen. Den Spielern den Hinweis um die Ohren zu hauen, wäre eine Lösung (wir sprachen vorhin über die Möglichkeit, ihnen den Zettel im Kaufhaus in die Hand zu drücken). Du kannst aber auch mehr als nur einen Hinweis einstreuen, damit die Spieler wenigstens einen davon finden können (oder tatsächlich alle, was sie wiederum darin bestätigt, auf dem richtigen Weg zu sein). Als grobe Daumenregel haben sich hierbei drei Hinweise als empfehlenswert erwiesen, auch wenn du die Anzahl an Hinweisen natürlich beliebig variieren kannst. Nicht zuletzt hängt dies auch von der Relevanz der dazugehörigen Szene ab. Hinweise zu einer wichtigen Szene sollten zahlreich in vielen anderen Szenen versteckt sein. Für einen vergleichsweise unwichtigen und darum optionalen Nebenschauplatz reicht unter Umständen ein einziger. Finden die Spieler diesen einen Hinweis und folgen ihm sogar, dann ist das nett; finden sie ihn nicht, dann geht dein Abenteuer davon aber auch nicht kaputt.
Auf diese Weise kannst du ein beliebig komplexes Geflecht an Knotenpunkten erstellen, die sich gegenseitig beeinflussen und ein organisches Ganzes ergeben.
Für deine ersten Abenteuer ist es empfehlenswert, nicht zu viele Szenen und Knotenpunkte zu erstellen, damit du leichter den Überblick behalten kannst. Du kannst dich danach problemlos auf eine für dich angenehme Komplexität steigern.
Das große Finale
Eine klassische Geschichte in einem Buch steuert auf die unvermeidliche Klimax hin, in der die Spannung ihren Höhepunkt erreicht. Der große Plot-Twist wird enthüllt oder der Bösewicht besiegt. Auch in Filmen mündet das Finale nicht zwangsläufig in einem Kampf; wobei das natürlich nicht bedeutet, dass ein dramatischer Endkampf nicht seinen Reiz hätte. Aber du musst dich nicht verpflichtet fühlen, diesen nur um seiner selbst Willen in das Abenteuer hineinzuquetschen. Dies trifft umso mehr zu, wenn wir bedenken, dass, im Gegensatz zu einem Film oder Buch, die Spieler an diesem Punkt den großen Bösewicht durch ihre Entscheidungen bereits unschädlich gemacht haben können und es nur zu dem geplanten Endkampf kommen kann, wenn der Spielleiter einen unter Umständen immersionsbrechenden Deus Ex Machina hervorzaubert.
Viele Rollenspiel-Abenteuer handeln allgemein nicht von dem einen großen Bösewicht, den es zu bekämpfen und zu besiegen gilt, auch wenn es von dieser Sorte einige gibt und sie eine gewisse Daseinsberechtigung haben. Mutant & Masterminds ist beispielsweise ein Rollenspielsystem, das sich ausschließlich um Superhelden und ihre bösen Gegenstücke dreht. Auf der anderen Seite kann es bereits ausreichend erschöpfend sein, wenn die Spieler in einem Silent Hill-Abenteuer aus dem gleichnamigen Ort fliehen konnten, nachdem sie erfolgreich Ersatzteile für ihr Auto zusammengesucht und es repariert haben. Genauso kann ein Detektiv-Mystery-Abenteuer spannend genug sein, ohne dass der Mörder am Ende seine Waffe zieht und beginnt, die Spieler zu bekämpfen. Der Höhepunkt generiert sich in diesen Fällen organisch aus dem Rollenspiel heraus, beispielsweise wenn die Spieler alle Ersatzteile in das Auto einsetzen und herausfinden, ob sie alles bedacht und richtig gemacht haben, oder wenn sie versuchen, einen Mord aufzuklären und erkennen, ob sie alle notwendigen Hinweise gefunden und korrekt verbunden haben.
Welche Mittel? – Zusatzmaterialien
Bei der Wahl und dem Einsatz an Hilfsmitteln scheiden sich die Geister. Es gibt Spielleiter, die mit Freuden Stunden damit verbringen, Rätsel zu erstellen und im eigenen Wohnzimmer Hinweise zu verstecken. Es gibt aber auch weitaus minimalistischere Spielleiter, die lieber gleich das gesamte Abenteuer improvisieren. Wieviel Zeit und Mühe du in Zusatzmaterialien investieren willst, musst du selbst entscheiden. Auch können die Anforderungen von Abenteuer zu Abenteuer unterschiedlich sein.
Zusatzmaterialien wie Bilder, Karten, Handouts, Audiodateien, Videos, stimmungsvolle Texte zum Vorlesen oder sogar haptische Gegenstände wie Schlösser oder Bücher können hervorragend dazu beitragen, die Atmosphäre des Rollenspiels zu vertiefen und die Immersion zu steigern. Achte jedoch darauf, dass deine Zusatzmaterialien lediglich unterstützend und stimmungsgebend sind und nicht das eigentliche Abenteuer in den Schatten stellen. Im Idealfall sollte dein Abenteuer auch ohne diese Zusatzmaterialien spielbar sein. Es kann immer vorkommen, dass die Technik spinnt oder andere Begebenheiten den Einsatz der Zusatzmaterialien verhindern.
Im Artikel Zusatzmaterialien findest du jede Menge Material, das von anderen Nutzern zusammengetragen und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurde.
Kurz gesagt
Die Abenteuerstruktur dürfte dir bereits eine gute Checkliste dafür geben, was du für dein Abenteuer benötigst und wie du es übersichtlich strukturieren kannst, damit am Spieltisch mehr Rollenspiel und weniger Zettelwirtschaft betrieben wird.
Eine tiefergehende Checkliste, die die in diesem Artikel angesprochenen Punkte berücksichtigt, ist hier aufgeführt:
Stilistische Struktur
- Überschriften und thematische Sortierung. Vermische nicht NPCs mit Orten oder Zusatzmaterial und notwendige Informationen mit stimmungsgebenden Beschreibungen, sondern teile diese Elemente auf.
- Gib den Elementen deines Abenteuers den ihnen angemessenen Raum und Platz. Je austauschbarer ein Element ist, desto weniger Beschreibung braucht es.
- Sei kurz und prägnant. Knallharte Fakten anstatt verschwurbelter Worte.
- Bleibe objektiv. Beschreibe NPCs und andere Elemente nicht nur aus Sicht der Spielercharaktere, sondern versuche, dich neutral zu positionieren und auch die Sichtweisen der anderen NPCs einzunehmen.
- Wenn du stimmungsvolle Texte einfügen möchtest, die die Atmosphäre des Abenteuers vertiefen sollen, so trenne sie optisch von den eigentlichen Informationen. Dasselbe gilt auch für Spielleitertipps, Zusatzmaterialien wie Bilder, Karten, Stimmungstexte zum Vorlesen, Handouts, Audiodateien und andere Dinge zur szenischen Untermalung.
Inhaltliche Struktur
- Wo und Wann? Setting – In welcher Welt spielt das Abenteuer?
- Was? Konflikt und Hintergrund – Welche Ereignisse und Begebenheiten beeinflussen das Abenteuer oder haben erst dazu geführt?
- Wer? Welche Charaktere tauchen in dem Abenteuer auf?
- Aussehen?
- Motivation?
- Verhalten?
- Ressourcen?
- Beziehungen?
- Wo und Wie?
- Welche Knotenpunkte gibt es in dem Abenteuer?
- Welche Hinweise oder Schlüsselerlebnisse sind unter welchen Bedingungen zu finden?
- Wohin führen die Hinweise? In welchem Kontext stehen die Knotenpunkte zueinander?
- Sind genug Hinweise vorhanden, um die wichtigen Knotenpunkte zu erreichen?
Schlusswort
Es ist eine Kunst, Rollenspiele zu leiten. Kein noch so gutes Abenteuer vermag über diese Tatsache hinwegzutäuschen, auch wenn ein gut vorbereitetes Abenteuer viele Fallen und Stolpersteine aus dem Weg schafft, in die ein Spielleiter sonst tappen würde. Nicht zuletzt kommt es auch auf deine Präferenzen und die deiner Spieler an, wie sehr du sie an die Hand nimmst, um deine Geschichte zu präsentieren, oder wie sehr ihr die offene Spielwelt entdecken möchtet. Genauso musst du selbst entscheiden, wie sehr du bei der Vorbereitung ins Detail gehen möchtest.
Worauf es sowohl beim Abenteuer schreiben als auch Leiten ankommt, welche Details wichtig sind und welche man der Improvisation am Spieltisch überlassen kann, sowie das intuitive Gespür, trotz aller Widrigkeiten ein durchgängig spannendes Abenteuer zu kreieren, wirst du mit der Zeit und jedem geschriebenen und geleiteten Abenteuer erlernen. Es ist- in diesem Fall sogar ganz wortwörtlich- noch kein Meister vom Himmel gefallen.
Links und Hilfen
Eine kleine Liste mit möglicherweise hilfreichen Tipps, Links zu Werkzeugen und weiterführenden Informationen findest du im Artikel Links und Hilfen.